Tollwutviren zeigen Verschaltungen im gläsernen Gehirn

Wissenschaftler unter Federführung der Universität Bonn nutzen Tollwutviren für ein neuartiges Testsystem: Gekoppelt an ein grün fluoreszierendes Protein zeigen die Viren, wo sich in Mäusegehirne implantierte Ersatzzellen mit dem Nervennetzwerk verschaltet haben. Kombiniert mit einer ‚Vergläserung’ des Gehirns und der so genannten Lichtscheibenmikroskopie lässt sich so erstmals der Transplantationserfolg im gesamten Gehirn visualisieren. Die Forscher sehen in dieser Methode ein großes Potenzial für die Entwicklung von neuronalen Zellersatzverfahren. Die Ergebnisse sind nun im Fachjournal „Nature Communications” erschienen.

Bei zahlreichen Erkrankungen oder Verletzungen gehen Nervenzellen im Gehirn verloren. Wissenschaftler arbeiten daran, diesen Verlust durch die Transplantation von Ersatzzellen zu kompensieren. Bei der Parkinson-Erkrankung wird dies zum Beispiel mit eingepflanzten dopaminproduzierenden Nervenzellen versucht. Die zentrale Frage bei solchen Verfahren ist, ob sich die implantierten Zellen tatsächlich mit dem bestehenden Nervennetzwerk verschalten und dadurch den Funktionsverlust ausgleichen. „Bisherige Methoden gaben nur einen unvollständigen oder sehr kleinräumigen Einblick zur funktionellen Integration implantierter Zellen im Gehirn“, sagt Prof. Dr. Oliver Brüstle vom Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn und der LIFE & BRAIN GmbH.

Viren breiten sich auch rückschreitend in den Nervenzellen aus

Zusammen mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen der Universität Bonn und Kooperationspartnern aus Köln und Chicago (USA) hat das Team um Prof. Brüstle ein neuartiges Verfahren entwickelt: „Damit lässt sich die Verschaltung implantierter Zellen im kompletten Gehirn hoch aufgelöst visualisieren.“ Grundlage dieser Technologie sind genetisch veränderte Tollwutviren. Dabei machen sich die Forscher zunutze, dass sich diese Viren über Nervenzellkontakte – so genannte Synapsen – rückschreitend im Nervensystem ausbreiten. Die genetisch veränderten und damit für den Menschen nicht mehr gefährlichen Tollwutviren tragen ein fluoreszierendes Protein, das die transplantierten Zellen und mit ihnen verbundene Nervenzellen des Transplantatempfängers unter dem Mikroskop grün leuchten lässt.

Dreidimensionaler Nervenschaltplan im „gläsernen“ Gehirn

Das Forscherteam transplantierte humane neurale Stammzellen in zwei verschiedene Gehirnregionen von Mäusen. Nach der Ausreifung der Stammzellen in Neurone infizierten die Wissenschaftler die Transplantate mit dem veränderten Tollwutvirus-Fluoreszenz-Komplex. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden die transplantierten Gehirne einem speziellen Klärungsverfahren unterzogen. „Dieses Verfahren erlaubt es, die Gehirne völlig transparent – man kann sagen »gläsern« – werden zu lassen“, sagt Dr. Martin Schwarz von der Bonner Epileptologie, der diese Methode perfektioniert hat. Anschließend wird das „gläserne“ Gehirn ähnlich wie bei einer Computertomographie Schicht für Schicht mit einem so genannten Lichtscheibenmikroskop untersucht, das Prof. Dr. Ulrich Kubitscheck und sein Team vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie der Universität Bonn eigens für diese Anwendung entwickelt haben.

„Mit diesem Verfahren wird das Gehirn in über 1.000 virtuellen optischen Schnitten hochauflösend abgetastet; anschließend werden die Daten wieder dreidimensional rekonstruiert“, erklärt Prof. Kubitscheck. „Da die implantierten Neurone und mit ihnen verbundene Nervenzellen des Empfängers grün leuchten, lässt sich so eine dreidimensionale Gehirnkarte der mit dem Transplantat verbundenen Empfängerzellen, ein so genanntes Connectom erstellen“, sagt Dr. Jonas Doerr, der zusammen mit Martin Schwarz als Erstautor der Studie zeichnet.

Da in dem gläsern gemachten Gehirn das Gewebe nicht mehr sichtbar ist, haben die Forscher in einem letzten Schritt die Gehirnkarten digital mit Kernspindaten von Mausgehirnen unterlegt. „Ähnlich einem Globus kann so jede grün markierte Zelle einem bestimmten anatomischen Territorium zugeordnet werden“, so Prof. Dr. Mathias Hoehn vom Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung in Köln, dessen Gruppe diese Berechnungen durchgeführt hat.

Großes Potenzial für die Entwicklung von Nervenzelltransplantaten

„Unsere Befunde zeigen, dass die transplantierten Neurone sehr spezifisch in die Schaltkreise der jeweiligen Zielregion eingebaut werden“, berichtet Prof. Brüstle. Die neuartige Technologie birgt nach Überzeugung der Forscher ein großes Potenzial. Modellhaft ließen sich damit die Verschaltungsfähigkeit von Nervenzelltransplantaten vor einer klinischen Anwendung genau bestimmen und optimieren. In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler mit dem Tollwutvirus-System untersuchen, wie sich humane dopaminproduzierende Zellen am besten im Gehirn von Parkinson-Mäusen verschalten lassen.

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